STANDARDSITUATION

Inges Idee, Axel Lieber, Jürgen Noltensmeier, Martin Pfahler, Peter Thol, Albrecht Wild und Markus Willeke

21.05.2016 – 19.08.2016

 

Standardsituation

 

Die Standardsituation im Fußball ist weniger der Eckball als das Absurde. Wenn mit Camus die Absurdität das an sich sinnlos Wirkliche ist, dann ist dies der Fußballsport in jeder der meist 90 Spielminuten, sicher in der Nachspielzeit und für Viele auch in der Zeit bis zum nächsten Spiel. Wie das ihm verwandte Leben versucht der Fußball den Widerspruch zwischen Sinnanspruch und fehlender Erfüllung mit der Revolte – gern auf den Stehplätzen und auch vor dem Stadion – zu überwinden und aus ihr die Bejahung der Realität -„ Wir sind gerade abgestiegen“- zu ermöglichen.

 

Das Absurde im Fußball im Fußball beginnt augenfällig mit dem Spiel an sich. Der Ball darf nur mit den Körperteilen gespielt werden, die für seine Beherrschung denkbar ungeeignet sind – besonders gilt dies für Fuß und Kopf. Die Überwindung dieser anthropogenen Beschränkungen schafft die Bewunderung, die den begnadeten Techniker (etwa Heinz Flohe, „der mit dem Ball tanzte“) oder den Kämpfer (wie Horst Hrubesch: „Manni Flanke, ich Kopf: Tor!“) zur übermenschlichen Gestalt, in besonderen Fällen sogar zur außerhalb aller (kleinbürgerlichen) Ordnung stehenden eigenmoralischen Autorität (denken wir jetzt bitte nicht an Beckenbauer) werden lässt. Daß diese Fußballgötter mit rituellen Gesängen der Gläubigen (der zwölfte Mann ist eben nicht der Trainer) jeden Samstag (und leider auch Sonn-oder gar Montags) bejubelt werden, ist dann ebenso folgerichtig wie die Wahl der liturgischen Gewänder (ein Schal ist das Mindeste) mit denen die Massen in die Kathedralen strömen. Auch der Papst predigt gern mal im Stadion.

 

Ärgerlich ist nur, daß die Weihestätten in den letzten Jahren ihre altehrwürdigen Namen aufgegeben haben. Die Vereine, deren Mannschaften kaum noch etwas mit den Städten verbindet, deren Namen sie tragen, haben sie nach Anerkennung lechzenden, oft ins Gerede gekommenen Unternehmen (wie Versicherungen, Banken, Finanzdienstleistern) Gelegenheit geben, an der Magie teilzuhaben. In der Marketingabteilung werden da sicher kluge Mitarbeiter Konzepte entwickelt haben wie: „ Wer aus 35 Metern ins Linke obere Eck treffen lässt, wird Dich armen Wurm bis ans Lebensende reich und glücklich machen – wenn auch Du Deine Spareinlagen uns überlässt!“ Diese Segensbotschaft wirkt selbst dann, wenn die Mannschaft absteigt: „Der kleine Knick in der Erfolgsbilanz Deines Kontos ist wirklich nur vorübergehend – außerdem hat die Mannschaft schon einen neuen Trainer! Der Abstieg ist vor allem die Chance, wieder aufzusteigen“.
Die greifbare Identifikation des Fans mit den Helden auf dem Platz wird von Martin Pfahler gezeigt, der uns eine Woche mit der Sportseite seiner Tageszeitung vorstellt. Dabei spielt der Text keine, die Überschriften und Photographien eine große Rolle. Das reicht, wie wir wissen, um alles zu verstehen. Der Künstler selbst spielt die entscheidenden Szenen nach, sein Körper tritt an die Stelle der Begnadeten oder – gelegentlich – der Verdammten. Wir selbst sind es, die da spielen; nein, nicht spielen, die da kämpfen, leiden, siegen oder verlieren. Ein Unentschieden gibt es letztendlich nicht: einer wird Meister, der andere steigt ab.
Der ironische Kommentar von Albrecht Wild zeigt das Wesen des wahren Fans: während der Spieler 15 km läuft, grätscht, springt, sich dem mit 70 km/h nahenden Ball entgegenwirft, Meniskus und Adduktoren riskiert, schont sich auch der Fan nicht. Zum Sitzen, selten auch zum Stehen, verdammt, kann er seinen Körper nur durch gleichmäßige Alkoholzufuhr bändigen und riskiert Leber und Lunge.
Nach dem Spiel ist er kaum weniger erschöpft. Absurd? Mitnichten. Krombacher und Hasseröder haben das präzise erkannt. „Leiden“schaft im wahrsten Sinne. „Fußball spielt in einem Kontext, in dem das Zuschauen zum Tun wird… Die Freude, die wir bei derartigen Anlässen empfinden, ist nicht ein Feiern des Glücks anderer, sondern ein Feiern unseres eigenen; und bei einer katastrophalen Niederlage ist das uns verschlingende Leid in Wirklichkeit Selbstmitleid, und jeder der verstehen will, wie Fußball konsumiert wird, muss sich das als erstes klarmachen.“

 

Anstoß: Freitag, 20. Mai 2016, 18.00 h

Christian Karl